„Forelle statt Steinbutt rettet die Welt auch nicht!“

Juan Amador, Österreichs einziger 3-Sterne-Koch, im GASTRO-Interview über Nachhaltigkeits- und Regionaltrends, die Preisgestaltung in der Top-Gastronomie und die Notwendigkeit einer österreichweiten Michelin-Ausgabe.

Juan AmadorGASTRO: Herr Amador, herzliche Gratulation zum dritten Stern, nach etlichen dieser Top-Bewertungen in Deutschland jetzt schon das 4. Mal in Österreich. Was machen Sie anders als Kollegen wie Filippou, Nickol oder Reitbauer?
Juan Amador: Danke, das ist tatsächlich schon das 12. Mal, dass ich drei Sterne bekomme. Bei Vergleichen mit Kollegen tu ich mir aber schwer. Man macht das ja nicht bewusst. Jeder, der zwei Sterne hat, steht theoretisch kurz vor dem dritten. Ich finde es sehr spannend, dass jeder seine eigene Stilistik hat. Warum jetzt aber wer tatsächlich welche Bewertung bekommt, das weiß ich nicht, das entscheidet der Michelin.

Ist es der internationale Stil, den Sie etwas mehr pflegen und der bei Michelin vielleicht mehr geschätzt wird? Auf Ihrer Karte findet man Kaisergranat, Steinbutt oder Mieral Taube wo andere auf Steirisches Lamm oder Kärntner Forellen setzen. Und auch über Gänseleber trauen sich Ihre Kollegen immer seltener drüber.
Also zu unserer Gänseleber: Die wird nicht gestopft! Ich kenne den spanischen Produzenten – wie eigentlich alle unserer Produzenten – persönlich. Dessen Gänse leben frei, ernähren sich hauptsächlich von Eicheln und die – das ist in der Natur ganz normal – fressen sich vor dem Winter ein gewisses Fettpolster an. Und so wie auch wir eine Fettleber bekommen, wenn wir zu viel essen, passiert das bei den Gänsen.

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Was den Rest betrifft: Meine Eltern kommen aus Spanien, ich bin in Deutschland aufgewachsen, war selbst schon auf der ganzen Welt unterwegs, oft in Asien. Ich habe diesen Regionalitätsanspruch, den andere Kollegen vielleicht haben, nicht. Regionalität definiert sich für mich mehr über den Geschmack und weniger über die Herkunft der Produkte. Wenn ich einen geangelten bretonischen Steinbutt verwende, von einem Fischer, den ich kenne, dem ich vertraue und den dann mit Blunze und Topinambur anrichte, dann ist das für mich auch regional und besser, als eine heimische Forelle, die mit Miso und Sojasauce flankiert wird, dafür aber in einem Becken mit Pellets aufgezogen wurde und die in ihren eigenen Ausscheidungen geschwommen ist.

Vielleicht ist der Fisch regional, der Geschmack aber nicht – und um den geht es mir. Es gibt auch Taubenzüchter aus dem Burgenland, nur leider kommt deren Qualität nicht annähernd an die von Herrn Mieral heran. Warum soll ich ein schlechteres Produkt verwenden, wenn ich Zugriff auf ein besseres habe? Das erschließt sich mir nicht. Deswegen finde ich diese Diskussion völlig hirnlos und ich lasse mich gar nicht darauf ein. Ich will einfach das Beste an Produkten haben! Eine Forelle wird’s nie zum Steinbutt schaffen. Ja, unser Kaisergranat kommt aus Südafrika, aber da gibt’s eine strenge Fangquote, da wird nichts überfischt.

Ich war – damals noch in Deutschland – einer der ersten, die keine Speisekarte, sondern nur ein Menü angeboten haben und das halte ich auch in Wien so. Der Gast soll bei mir das Beste auf den Teller bekommen, was es gibt. Wenn er sein Lieblingsessen haben möchte, muss er woanders hingehen. Ich kann auch nicht in ein Konzert gehen und dem Künstler sagen, was er spielen soll. Da gibt’s ein Programm und wenn mir das gefällt, gehe ich hin und wenn nicht, dann nicht. Ende.

Sie haben seinerzeit auch mit der Molekularküche experimentiert. Ist von diesem Hype der 2000er-Jahre irgendwas übergeblieben oder war das ein Irrweg?
Absolut nicht, natürlich ist etwas übergeblieben – und wahrscheinlich in jedem zweiten Landgasthof auch. Heute steht bloß der Fokus nicht mehr auf der Technik, sondern das ist in die traditionelle Küche eingeflossen. Damals war das Ganze halt neu und spektakulär. Aber deswegen hat man trotzdem etwas Anständiges zu essen bekommen. Ich hatte damals schon drei Sterne und die bekommst du nicht für Hokuspokus und ein paar Schäumchen. Die Molekularküche war ein ganz wichtiger Schritt, ohne die hätten wir nicht das nordische Wunder oder die Entwicklungen in Südamerika erlebt. Die Molekularküche hat eine Tür aufgestoßen und uns daran erinnert, wie kreativ wir sein können.

Auch in der Spitzengastronomie – vom Geranium über Eleven Madison Park bis zum TIAN – geht der Trend immer stärker in Richtung vegetarisch. Auch bei Ihnen oder ist das ein Stil, den Sie lieber anderen überlassen?
Das überlasse ich anderen. Wir haben zwar immer wieder auch Vegetarier bei uns und wenn wir das vorher wissen, ist das kein Problem, dann gibt’s eben eine vegetarische Speisenfolge. Was wir grundsätzlich nicht machen, ist vegan. Das wäre so, als würde ich ins TIAN gehen und dem Paul Ivic (Küchenchef, Anm. d. Red.) sagen, er soll mir ein Steak machen. Der würde mich auch fragen, ob‘s mir noch gut geht. Wir sind eben kein vegetarisches oder veganes Restaurant. Wir versuchen Vieles möglich zu machen, aber wir sind kein Wunschkonzert!

Wie wichtig ist der dritte Stern für den wirtschaftlichen Erfolg?
Immens! Das ist auf der ganzen Welt das Höchste, was man als Koch erreichen kann und hierzulande war es ein noch größeres Signal, weil wir die ersten waren und man es uns ja teilweise auch nicht wirklich gegönnt hat in der Presse. „Naja der Piefke“ hat‘s oft geheißen. Wobei das letztlich das Problem der anderen ist, nicht meins. Ich bin nicht für die Bewertungen des Michelin verantwortlich, sondern nur dafür, was der Gast bei mir auf dem Teller findet. Aber es hat mir auch viel Zuspruch gebracht aus ganz Österreich und international ohnehin.

Würden Sie sich eine österreichweite Michelin-Ausgabe wünschen?
Die wäre sogar dringend nötig! Da gibt’s großartige Kollegen außerhalb von Wien oder Salzburg, die so nicht bewertet werden. Da würden mir mindestens fünf Namen einfallen, die meiner Meinung nach das Potenzial für drei Sterne hätten. Aber ich weiß auch, dass es hier eine starke Lobby für den Gault- Millau gibt, bloß ist das ein anderes Geschäftsmodell. International kann man das gar nicht vergleichen, da ist Michelin die Bibel. Keine Frage, auch Gault- Millau ist in Österreich sehr wichtig, aber es ist sicher Platz für beide. Konkurrenz belebt das Geschäft. Wer – aus welchen Gründen auch immer – gegen einen gesamtösterreichischen Michelin ist, der ist gegen Österreich, der ist gegen die österreichische Gastronomie. Punkt! Kein Japaner oder Amerikaner liest den Gault-Millau, der nur auf Deutsch erscheint. Der ist für den heimischen Markt wichtig, keine Frage. Aber international gesehen ist der Michelin einfach wichtiger und Österreich ist ein Tourismus-Land!

Die Kollegen vom Gault-Millau versagen Ihnen bis dato die Höchstnote. Wäre eine fünfte Haube für Sie auch noch reizvoll oder ist der dritte Stern die härtere Währung, mit der Sie gut leben können?
Wie schon gesagt, der dritte Stern ist international gesehen die härtere Währung, aber natürlich strebe ich auch im Gault-Millau die Höchstnote an – und die werde ich auch bekommen – eines Tages (lacht).

Lässt ein dritter Stern auch etwas mehr Spielraum in der Kalkulation? Mit 295 Euro für das Menü ohne Wein sind Sie österreichweit vermutlich ziemlich an der Spitze.
Der Preis hat seine Berechtigung, der ergibt sich ja nicht aus den Auszeichnungen, sondern aus den verwendeten Produkten. Ein Steinbutt kostet im Einkauf eben viermal so viel wie ein Saibling. Wenn ich eine handgetauchte Jakobsmuschel hernehme – die Preise sind eben enorm und die muss ich weitergeben. Ein Menü besteht aus bis zu 20 Gängen. Bei mir arbeiten 20 Leute für 30 bis 35 Gäste. Im internationalen Vergleich sind wir sogar noch günstig. Gehen Sie mal in Paris, London, Kopenhagen oder New York in ein 3-Sterne- Lokal essen. Da zahlt man 400, 500 oder auch 600 Euro fürs Menü. Aber unsere Gäste sind ja zum Glück international viel unterwegs und die wissen das auch. Ich habe kein einziges Mal von einem Gast gehört, wir wären zu teuer.

Das sagen maximal die Leute, die ohnehin nicht zu uns kommen und damit kann ich leben. Ich bin selbständig, ich muss von dem, was ich verdiene, leben und meine Mitarbeiter bezahlen. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich mir eine goldene Nase verdiene. Da bleibt anderen Kollegen am Ende der Woche wahrscheinlich mehr als mir am Ende des Monats. Wenn ich reich werden wollte, müsste ich was Anderes machen. Machen Sie sich Gedanken, wenn Sie für eine Opernkarte auf dem Balkon 400 Euro zahlen? Wenn einem das zu teuer ist, muss man sich eben eine CD kaufen. Ich finde die Diskussion irgendwie skurril.

Wie stark hat Sie Corona getroffen? Denn ich vermute mal, dass Ihr Restaurant sehr stark von internationalem Publikum lebt.
Wir sind zum Glück nach wie vor jeden Tag komplett ausgebucht, nur dass wir jetzt deutlich mehr heimisches Publikum haben. Vor Corona haben wir an manchen Abenden 80 Prozent englische Speisekarten gebraucht, jetzt sind gut 90 Prozent der Gäste Österreicher, manchmal brauche ich keine einzige englische Speisekarte mehr.

Wo sehen Sie die Spitzengastronomie der Zukunft: Werden Themen wie CO2-Fußabdruck, Tierwohl, Bio oder Regionalität immer wichtiger?
Natürlich werden sie das und das ist gut so, besonders beim Tierwohl. Doch wenn ich für einen kleinen CO2-Fußabdruck nur mit Produkten aus der Region kochen müsste, dann würde sich das für mich nicht ausgehen. Der Flieger aus Südafrika hebt sowieso von dort ab, ob da jetzt mein Kaisergranat drin ist oder nicht, ist völlig egal. Ich werde die Welt auch dann nicht retten, wenn ich Forelle statt Steinbutt auf die Karte setze. Kleidung, Handy, etc. kommt alles aus China und produziert schon in der Herstellung Unmengen an CO2 und Müll, darüber macht sich keiner Gedanken. Ich hab da kein schlechtes Gewissen! Mein Job ist es, meine Gäste glücklich zu machen.

Welche Pläne für die Zukunft haben Sie?
Also zum einen versuchen wir, uns ständig zu verbessern. Ich bin der gejagte. Ich kann mich nicht auf meinen 3 Sternen ausruhen und sagen „so das war‘s jetzt, besser geht’s nicht“. Wir müssen morgen besser sein als heute. Was ich sicher nicht machen werde, sind Satellitenrestaurants. Es funktioniert nur, wenn ich da bin. Ich arbeite voll mit, ich stehe jeden Tag in der Küche. Ich stehe nicht nur rum und begrüße die Gäste. Ich habe zwar ein ganz tolles Team und ohne die würde ich es natürlich auch nicht schaffen, aber das läuft eben wie ein komplexes Uhrwerk und wenn man da ein Teil wegnimmt, steht das Werk. Deswegen ist das Restaurant geschlossen, wenn ich nicht da bin. Man kann das alles nicht delegieren.

Ich muss ja dazusagen: Ich weiß leider nicht nur, wie es geht, ich weiß auch, wie es nicht geht. Ich habe eine Insolvenz hinter mir, ich habe alles erlebt. Und jetzt bin ich halt vorsichtiger. Ich bin Koch und kein Manager. Man kann Rezepte aufschreiben, aber wenn dann eine Kleinigkeit schiefläuft und man improvisieren muss – das kann man nicht aufschreiben. Das kann man, oder eben nicht. Placido Domingo muss auch selber singen und kann niemandem erklären, wie er es macht, dass es genauso klingt. Und außerdem: Im Moment macht mir das Ganze noch großen Spaß aber schauen wir mal, wie es in ein paar Jahren aussieht. Ich mache das jetzt seit 36 Jahren. Irgendwann wird es mir wahrscheinlich reichen. Ich bin jetzt 53, mit 60 werde ich mir das eher nicht mehr geben.

Kein Bocuse-Schicksal also?
Ganz sicher nicht!

Info
Juan Amador (* 10. Dezember 1968) ist ein deutscher Koch mit spanischen Wurzeln, der im schwäbischen Strümpfelbach nahe Stuttgart als Sohn katalanisch-andalusischer Eltern aufwuchs. Sein kulinarisches Können brachte ihm erstmals von 2008 bis 2012 drei Sterne des Guide Michelin für sein Restaurant AMADOR in Langen bei Frankfurt ein, welche er nach dem Umzug des Restaurants am neuen Standort in Mannheim von 2012 bis 2015 verteidigte. Seit 2016 findet sich das aktuelle AMADOR Restaurant in Wien. Bereits ein Jahr nach Eröffnung wurde das AMADOR im Michelin Guide „Main Cities of Europe“ mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Im März 2019 folgte die erneute Aufwertung und machte das AMADOR zum ersten – und bis dato einzigen – 3-Sterne-Restaurant Österreichs.
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